Neolithischer Dolch aus Nordeuropa
Dolchzeit-Kultur (2400 – 1800 v. Chr.)
Gregor Wensing
Die Zeitspanne, in welcher die Menschheit Metalle be- und verarbeitet (Kupfer-, Bronze- und Eisenzeit), stellt lediglich einen Wimpernschlag in der Geschichte der Erde dar. Und selbst in der Evolution unserer Spezies nimmt die Phase, in der unsere Vorfahren Steine verschiedenster Art als Rohstoff für die Anfertigung von Waffen und anderen Geräten nutzten, einen weitaus größeren Raum ein.
Dabei ist „die Waffe“ der von Menschenhand geschaffene Gegenstand, der unsere Art die längste Zeit auf ihrem langen Weg vom affenähnlichen Vormenschen zum Homo sapiens der Gegenwart begleitet hat. Seine Herstellung und Verwendung führte wesentlich zu Hirnwachstum und Entstehung sozialer Strukturen, wobei in der frühen Phase der Menschwerdung nicht zwischen „Waffe“ und „Werkzeug“ unterschieden werden kann.
Es ist wohl mehr fünf Millionen Jahre her, dass sich im südlichen Afrika Menschen und Menschenaffen aus einem gemeinsamen Vorfahren entwickelten. Von dieser Zeit an spaltete sich der Stammbaum immer weiter auf. Während die Menschenaffen auf der Stufe von Werkzeugverwendern stehenblieben, wurden die Angehörigen der Gattung Homo allmählich zu Werkzeugmachern: Vor gut 2 Millionen Jahren begannen sie, sich die Gerätschaften selber anzufertigten, welche sie benötigten, um in einer rauen Umgebung existieren zu können.
Im Laufe von Jahrhunderttausenden wurden – im Gleichschritt mit einer Vergrößerung des Hirnvolumens - Waffen und Werkzeuge immer filigraner: Haben unsere Ahnen zunächst lediglich Steine zu einer Art grobem Messer zurechtgeschlagen, mit dem sich Fleisch von Knochen abschaben lässt, sowie Äste oder spitze keilförmige Steine als Waffen eingesetzt, so entwickelten menschliche Genies der Urzeit im Laufe der Geschichte daraus immer besser zu verwendende Gerätschaften. Damit aber konnte sich der körperlich doch recht schwache Aufrechtgänger immer besser vor Raubtieren schützen und sogar selber Tiere erlegen.
Steinwerkzeuge haben also das Leben der frühen Menschen drastisch verändert: War die schnelle Flucht zuvor das einzige Mittel, um einem Raubtier zu entkommen, wurden nun Intelligenz und handwerkliches Geschick zu Momenten, die das Überleben sicherten, denn wer schlauer war als die Anderen und über die entsprechenden Werkzeuge verfügte, konnte sich eher eines Raubtieres erwehren und kam auch eher in den Genuss fleischlicher Nahrung. Diese wiederum fördert das Wachstum des Gehirns, da sie mehr Fett und Eiweiß enthält als pflanzliche Kost. Ein größeres Gehirn – was mit einer besseren Hirnleitung gleichgesetzt wird – erlaubt seinem Träger wiederum, immer kompliziertere Gedankenprozesse anzustoßen und so neue Ideen zu entwickeln, die in der Erfindung neuer und besserer Waffen sowie von Sozialstrukturen z. B. bei der gemeinsamen und daher erfolgreicheren Jagd oder bei der Abwehr von Fressfeinden münden.
Homo rudolfensis wird heute als erster Hersteller primitiver Werkzeuge angesehen und man geht davon aus, dass es sich um einen menschlichen Vorfahren handelt, der bereits über längere Zeit aufrecht stehen oder gar gehen konnte. Das aber machte die Hände frei, die nun für andere Aufgaben als die der Fortbewegung genutzt werden konnten: Verteidigung, Jagd und Anfertigen erster Waffen. Diese Gattung lebte vor ca. 2,5 bis 1,9 Millionen Jahren in Ostafrika.
Sein nahezu zeitgenössischer Cousin (oder Nachkomme, da ist sich die Wissenschaft noch nicht ganz einig) namens Homo habilis (= „geschickter“ oder „befähigter Mensch“) hat es wohl schon vor ca. 2,1 bis 1,5 Millionen Jahren verstanden, Fleisch von Knochen zu trennen – was er denn dann auch verzehrt haben wird. Zahnanalysen legen nahe, dass in der Nahrung von Homo habilis Fleisch durchaus bereits einen gewissen Stellenwert hatte. Möglicherweise konnte Homo habilis sogar schon seinen Daumen den anderen Fingern gegenüberstellen („Opponierbarkeit“), was ihm den Feingriff erlaubte, der wiederum zu einer geschickteren Betätigung der Hände befähigte.
Über Homo ergaster (vor ca. 2 bis 1,4 Mio. Jahren) und Homo erectus (vor ca. 2 Millionen bis 100.000 Jahren) führte die Evolution zu Neanderthaler und Homo sapiens (vor 300.000 Jahren bis heute) – ein Weg, der aufs Innigste verknüpft war mit der Erfindung und Anfertigung immer besserer Werkzeuge und Waffen.
Spätestens auf den Stufen von Homo ergaster und Homo erectus haben sich unsere Vorfahren nicht mehr allein mit dem begnügt, was z. B. die großen Raubkatzen an Beuteresten übrig gelassen hatten: Sie gingen auch aktiv auf die Jagd, um sich so ausreichend mit proteinreicher Kost zu versorgen.
1 ½ Millionen Jahre später haben sich unsere Vorfahren über weite Teile der Erde ausgebreitet. Die Fähigkeiten, neue Regionen, Klima- und Vegetationszonen zu erobern und mit einer anderen Tierwelt zurechtzukommen, waren jedoch nur mit Hilfe von Werkzeugen und Waffen möglich, mit denen sie auch den Herausforderungen einer neuen Umgebung trotzen konnten.
Hatten sich unsere Ahnen über rund 2 Millionen Jahre Steinen als Rohstoff bedient, aus dem die allermeisten Waffen und Werkzeuge angefertigt wurden („Steinzeit“), so kam es im 3. Jahrtausend v. Chr. zu einer technischen Revolution in Form der Hinwendung zu Metallen: Die Kupferzeit zog auf, der sich rasch die Bronzezeit anschloss.
Da dieser technische Entwicklungsschritt von der Stein- zur Metallverwertung aber nicht überall gleichzeitig und von heute auf morgen eintrat, wird diese Phase des Übergangs als „Kupfersteinzeit“ oder „Chalkolithicum“ bezeichnet.
In dieser Phase der späten Jungsteinzeit ist nun dieser Dolch entstanden, der Thema dieses Artikels ist. Die Menschheitsgeschichte begann nun betreffs ihrer kulturellen Entwicklung immer mehr Fahrt aufzunehmen: So kamen in immer kürzeren Abständen und an verschiedenen Orten neue Ideen und Erfindungen auf, so dass zahlreiche unterschiedliche Kulturen identifiziert werden können, die teil neben- teils nacheinander existierten.
Der vorliegende Dolch wurde um 2000 v. Chr. aus Feuerstein* (auch Flint genannt) angefertigt, gleichwohl in dieser Zeit auch im südlichen Skandinavien bereits Gegenstände aus Kupfer oder gar Bronze bekannt waren. Er ist der sogenannten Dolchzeit-Kultur zuzurechnen, die zwischen 2400 und 1700 v. Chr. mit ihrem Schwerpunkt im heutigen Dänemark und Schleswig-Holstein existierte. Der Name erklärt sich damit, dass die vorherrschenden Fundstücke Dolche – häufig noch aus Feuerstein - sind, die als Statussymbole nun an die Stelle der zuvor in der sogenannten Einzelgrab-Kultur dominierenden Streitaxt getreten waren. Dies gibt der Vermutung Raum, dass sich zu diesem Zeitpunkt eine andere Herrschaftsstruktur ausgebildet hatte, die sich nun mit Prestigeobjekten aus Metall schmücken konnte/wollte, welche den meisten anderen Menschen jedoch noch versagt waren. In der Folgezeit nahm nämlich der Import von Bronzegegenständen zu - und wer sich noch immer keinen Bronzedolch leisten konnte, musste sich eben selber eine ähnlich aussehende Waffe aus Feuerstein anfertigen.
Es gab aber mit Sicherheit bereits eine Spezialisierung in Form einer Arbeitsteilung, denn die mit den Feuersteindolchen angestrebte „Flachtechnik“ erforderte hohes Fingerspitzengefühl, um feine und elegante Werkzeuge anfertigen zu können. So findet man im Innern der wenigen Hausreste aus dieser Zeit manchmal viele Abschläge aus Feuerstein, die auf den Sitzplatz eines spezialisierten Handwerkers hinweisen, da sie bei der Herstellung eines neuen Werkzeugs als Abfall anfielen.
Feuersteindolchen aus dem Ende dieser Kultur (d. h. um 1700 v. Chr.) ist deutlich anzusehen, dass sie ihre Vorbilder in Bronzedolchen hatten. Um diese Zeit war der Höhepunkt des Feuersteinhandwerks erreicht, wenngleich (aus Kosten- und Verfügbarkeitsgründen) Feuerstein auch noch in der frühen Bronzezeit Rohmaterial für Werkzeuge und Waffen war.
* Feuerstein besteht nahezu ausschließlich aus Siliziumdioxid, welches hier sehr feinkörnig ist. Waren bei seiner Entstehung – wohl im Erdmittelalter – noch andere Mineralien vorhanden, erhielt er seine individuelle Färbung.
Feuersteinvorkommen sind häufig in Kreideablagerungen eingebettet, in denen man sogenannte Knollen entdecken kann. Feuersteine sind daher häufig in eiszeitlichen Grund- und Endmoränen zu finden.
Schon in der Jungsteinzeit gab es Handelswege für diesen wichtigen Rohstoff – sogar in Form von Halb- und Fertigprodukten, da man Werkzeuge und Waffen aus diesem Material in Gegenden gefunden hat, wo Feuerstein nicht vorkommt.
Seine große Bedeutung für die Waffen- und Werkzeugherstellung erklärt sich daraus, dass beim Beschlagen einer Knolle Splitter mit scharfen Kanten und Spitzen entstehen.
Weiterführende Literatur:
https://de.wikipedia.org/wiki/Stammesgeschichte_des_Menschen
http://brandenburgikon.net/index.php/de/sachlexikon/dolchzeit
https://de.wikipedia.org/wiki/Dolchzeit
https://www.evolution-mensch.de/Anthropologie/Dolchzeit
https://www.geo.de/geolino/mensch/9293-rtkl-geschichte-die-evolution-des-menschen
http://www.fan-nds.de/media/6_Wissenswertes/4_Funde_bestimmen/Goettinger_Typentafeln_Neolithikum.pdf
https://www.planet-schule.de/sf/multimedia-zeitreisen-detail.php?projekt=stammbaum_mensch
Emil Hoffmann: Lexikon der Steinzeit. Beck, München 1999
Dr. Alice Roberts: Die Anfänge der Menschheit, Dorling Kindersley, München 2012